Seit 40 Jahren ist eine automatisierte Futterzuteilung nach Milchleistung und damit das „Internet der Dinge“ in landwirtschaftlichen Betrieben State-of-the-Art; auch der Regensensor der Automobilwirtschaft ist ursprünglich eine Entwicklung aus der Landwirtschaft, und diente zuerst zur Identifizierung von Fehlmengen beim Getreidedreschen. Trotzdem gilt die Landwirtschaft vielen nicht unbedingt als digitaler Vorreiter – völlig zu Unrecht, wie ein Rundgang auf dem Staatsgut Almesbach bei Weiden zeigt.

Das Kalb darf bis zu 25 mal pro Tag trinken, spätestens dann soll es die vorgegebene Tages-Milchmenge aufgenommen haben. Das bestimmt und
regelt freilich nicht die Mutterkuh, sondern ein Sensorsystem, das erkennt, wann das Kalb trinkt und misst, wie viel Milch das Tier aufnimmt. Ist es zu wenig, springt ein Ampelsystem auf dem Display auf gelb, wird es kritisch, auf rot. Helmut Konrad, Leiter des Versuchs- und Bildungszentrums Rinderhaltung auf dem Staatsgut Almesbach in Weiden, erklärt das Ampelsystem am Bildschirm in dem Kämmerchen am Kälberstall, in dem heute nicht nur das Milchpulver gelagert wird, sondern auch die Technik ihren Platz hat.

Die wirtschaftliche Bedeutung dieser Prozessdatengenerierung und des darauf aufbauenden Monitorings liegt in der Identifikation derjenigen Kälber, auf die keinerlei Aufmerksamkeit verwendet werden muss, die etwa 75 Prozent „Grünen“, die einfach durchlaufen können: „Der Landwirt kümmert sich nur noch um diejenigen, die nicht optimal sind“, erklärt er. Das ist deshalb wichtig, weil wie beim Menschen auch beim Rind die Ernährung zu Lebensbeginn den Stoffwechsel auf Jahre hinaus beeinflusst und aus ideal ernährten Kälbern gesündere, langlebigere Kühe mit einer besseren Lebenseffektivität werden. Tierwohl inklusive.

Fitnesstracker am Hals

Das gilt auch für die ausgewachsenen Kühe im modernen, luftigen Laufstall nebenan. Hier sind alle 120 Milchkühe mit Halsbändern ausgestattet, die als echtes Frühwarnsystem für alle Abweichungen dienen. „Das Halsband überwacht mittels Wiederkau-Sensorik und Fresszeiterfassung genau die Nahrungsaufnahme“, erklärt Konrad. Verhalte die Kuh sich nicht erwartungsgemäß, dann sei das ein Hinweis auf etwa einen Fremdkörper, eine falsche Zusammensetzung der Nahrung oder den Beginn einer Krankheit.

Das Halsband lässt auch die Kuhortung im weitläufigen Stall zu und zeichnet ihre Aktivität auf – alles wertvolle Hinweise, die in einer Datenbank zusammenfließen. Würden Krankheiten erkannt, bevor sie klinisch werden, ließen sie sich häufig mit milderen Mitteln bekämpfen, so Konrad. Die Halsbänder sind erst in wenigen Betrieben im praktischen Einsatz. In Almesbach werden sie, wie vieles andere auch, erprobt, um Praktikern Erfahrungen weitergeben zu können. Eine wesentliche Hürde war zuletzt die Zusammenführung der Daten aus unterschiedlichen Systemen. Inzwischen ist dies durch die Schaffung aller benötigten Schnittstellen gelungen. Somit werden die Daten aus den verschiedenen Techniken – Milchmenge und Milchinhaltsstoffe Tiergesundheitsdaten und so weiter – und die noch wenigen Eingaben von Hand in einer einzigen Software verwaltet.

„Das Halsband überwacht mittels Wiederkau-Sensorik und Fresszeiterfassung genau die Nahrungsaufnahme.“, Helmut Konrad

Wissenschaft treibt den Fortschritt

Dafür, dass die Landwirtschaft als Branche digitale Möglichkeiten im Hinblick auf modernes Monitoring und moderne Prozessteuerung so intensiv nutzt, sorgen als Treiber des Fortschritts die landwirtschaftlichen Hochschulen. Schließlich funktioniert Landwirtschaft an einer Universität oder Fachhochschule seit jeher nur als angewandte Wissenschaft. „Es gibt aber auch viele Betriebe im Umfeld der Hochschulen, die gerne Neues ausprobieren und mit ihren Erfahrungen wieder der Forschung helfen“, sagt Konrad, der als Student für Studien früher selbst nachts Kühe beobachtet und ihr Verhalten dokumentiert hat.

Auch die Landwirtschaftstechnikhersteller hätten ihren Anteil an der Innovationskraft, die die Branche auszeichnet. Der heute in Autos verbaute Regensensor etwa sei an der Universität in Weihenstephan als Verlustmelder für Mähdrescher entwickelt worden. Bleiben nämlich durch eine nicht ideale Einstellung zu viele Körner auf dem Feld liegen, klopfen sie auf eine Metallplatte. Das ist bei der Getreideernte immer noch hilfreich,
zusätzlich aber schaltet sich dank derselben Technik auch der Scheibenwischer beim Auto ein, wenn zu viele Tropfen auf den Sensor am Rückspiegel klopfen. Letztlich wird sich am Markt entscheiden, welche und wie schnell digitale Technik in den praktischen Betrieben Einzug hält.

Alles andere als Spielerei

Daraus wird deutlich, dass die Investition in Digitalisierung in der Landwirtschaft nicht nur immer klaren wirtschaftlichen Zwecken folgt, sondern manchmal auch für andere Branchen nutzbare Entwicklungen zeitigt. „Der pragmatische Ansatz, sich technische Lösungen für ganz gezielte Problemstellungen zu schaffen, kann für viele Branchen beispielhaft sein“, findet auch Helmut Konrad. Allerdings konzentriert man sich in Almesbach dann schon auf Rinder und die überbetriebliche Ausbildung.

Letztere hat jüngst auch einen Digitalisierungsschub erhalten. Wer nun zum Beispiel lernen will, wie ein Fixierungsknoten funktioniert oder wie man Kälbertränke anmischt, der braucht in Almesbach dafür sein Handy: Über QR-Codes, die an verschiedenen Ausbildungsstationen angebracht sind, rufen die Auszubildenden eigens produzierte, kurze Videos zu den jeweiligen Themen auf und erproben das Gesehene anschließend Schritt für Schritt in Kleingruppen selbst in der Praxis. Der Ausbilder wird zum Coach und damit entlastet. Der Lerneffekt ist garantiert.

Die Kälberampel zeige auf einen Blick, ob Handlungsbedarf besteht, erklärt Helmut Konrad

Staatsgut Almesbach

Das Versuchs- und Bildungszentrum Rinderhaltung auf dem Staatsgut Almesbach blickt auf eine lange Geschichte als Lehranstalt für Tierhaltung zurück, die bis ins Deutsche Kaiserreich zurückreicht: 1905 fand hier der erste Melkkurs in stationärer Form statt. Seit 1949 befindet sich das Gut im Eigentum des Freistaats Bayern. Pro Jahr absolvieren rund 600 Teilnehmerinnen und Teilnehmer aus ganz Bayern hier ihren überbetrieblichen
Ausbildungsteil, insgesamt kommen jährlich 3.300 Bildungswillige für Veranstaltungen nach Almesbach.

Das vom Staatsgut Almesbach ausgearbeitete Konzept für die Digitalisierung in der Rinderhaltung mit dem Namen DiTRIGesund – digitale Technologien in der Rinderhaltung zur Sicherung der Tiergesundheit – wurde vom Bundesinstitut für Berufsbildung in Bonn als förderwürdig anerkannt. Seit 2018 wurden in Almesbach umfangreiche Investitionen in die Digitalisierung der Tierhaltung getätigt. Zu den neuen Technologien zählen Sensoren, die das Tierverhalten überwachen und analysieren, Software zur Erfassung, Vernetzung und Auswertung von Tierdaten sowie Roboter und Automaten, die Routinearbeiten übernehmen. Diese Ausstattung kann über Smartphones oder Tablets kontrolliert und gesteuert werden.